Der unsichtbare Zauberberg

Dorniges Gebüsch am Stelinger Berg.
Dorniges Gebüsch am Stelinger Berg.

So lasse ich mich weiter vom Wind durch die Region Hannover treiben. Nach der Begegnung mit der Südsee-Fledermaus weht es mich noch am selben Tag nur weniger Kilometer weiter Richtung Nord-West zu einem Berg, der scheinbar gar keiner ist.

„Laß Deine Augen offen sein,
Geschlossen deinen Mund
Und wandle still, so werden dir
Geheime Dinge kund.“

Hermann Löns – Aus „Mümmelmann und andere Tiergeschichten“

 

 

Stelinger Berg heißt es vielversprechend auf der Karte. So einen Berg werde ich in der norddeutschen Tiefebene schon von Ferne erkennen, vermute ich. Ohne meine hoch geschätzte Kartenapp maps.me und entsprechende Hinweisschilder hätte ich mein Zielgebiet aber vermutlich nie entdeckt. Unscheinbarer lässt sich so ein Berg auf den ersten Blick kaum vorstellen. Ich parke meinen Bus am Rande einer Obdachlosenunterkunft und folge auf einem schmalen Trampelpfad dem Hinweis eines alten, hölzernen Pfeils ohne Aufschrift. Es geht kaum spürbar bergan und nach nur wenigen Minuten erreiche ich den Gipfel. Ein großer Stein weist stolz darauf hin, dass sich hier Garbsens höchster Punkt befindet. Dünn wird die Luft hier in schwindelerregenden 66 Metern Höhe nicht.

 

Ich bin entzückt

Aus der Ferne höre ich Jugendliche rufen und lachen. Mein Zeitfenster öffnet sich in etwa 20 Minuten. Dann nämlich wären die Seifenblasen, die ich zuvor am Schulenburger Südsee auf die Reise geschickt hatte, hier angekommen. Vielleicht haben die Kids eine Idee, wo mein Schatz liegen könnte. Ich folge weiter dem Pfad, der mich völlig unerwartet an den Rand einer kleinen Schlucht bringt. Wie hübsch und bergig es hier plötzlich dann doch wird. Ich bin entzückt. Die Jugendlichen rasen mit ihren Mountainbikes in einem waghalsigen Tempo einen kurven- und hügelreichen Parcours durch diese weite Schlucht. Das sieht sehr nach Spaß aus. Wie kleine Inseln heben sich mehrere bewachsene Hügel ab. Zwei Mädchen reiten auf kleinen Pferden an mir und Nando vorbei. Der scheint die Pferde nicht als solche zu erkennen und fängt an, zu bellen. Ein Flugzeug im Landeanflug auf den nahegelegenen Flughafen Langenhagen dröhnt über den Feldern.

Hier oben gibt es viel Gelöns

Ich mache Rast auf einer Holzbank mit einem zerkratzten Metallschild, dass darauf hinweist, dass Hermann Löns einst den Stelinger Berg beschrieben habe. Dieser schriftstellernde Trunkenbold und Journalist, dem man aus sicherer historischer Distanz eine geistige Nähe zum Nationalsozialismus nachsagte. Darüber will ich hier und jetzt nicht weiter nachdenken, zumal ich mir sicher bin, nicht selbst plötzlich ein Nazi zu werden, nur weil es mir hier auf dem Stelinger Berg gefällt. Nur wenige Meter weiter liegt ein Hermann Löns Gedenkstein. Es lönst also auch hier, wie fast überall in Niedersachsen, ganz schön vor sich hin.

Es ist Frühling, die Sonne entwickelt endlich wieder spürbare Wärme auf der Haut und von dieser Bank genieße ich den wenig spektakulären aber dennoch anmutigen Ausblick auf sanfte Hügel mit Wiesen und alten Bäumen: das Auenland. Von dort kommen zwei Jungen des Weges. Es werden vielleicht Hobbits sein. Sie grüßen freundlich und wünschen mir ein schönes Wochenende. Ich bin platt! Zur Großstadt gehört dieser Berg offenbar nicht mehr – eher zu Mittelerde.

 

Auf der Rückseite des Berges führt ein Pfad durch einen Tunnel aus dornigen Sträuchern. Ein großes Tier – es wird vielleicht ein Ork gewesen sein – raschelt im Gebüsch und hastet davon. Am Ende dieses märchenhaften Dornen-Pfads öffnet sich ein großer Platz, an dessen rückwärtigen Seite ein verfallenes Steinhaus steht. Davor ein kleiner Baum mit gelben Knospen, die sehr angenehm duften. Ich wüsste so gerne, was für ein Baum das ist. Ein schwarzer Schmetterling jagt vor meinen Augen einer Hummel hinterher. Über meinem Kopf kreisen zwei Falkenpaare.

Was ist das für ein Baum?

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Paaaaaaarty …

Dieser in einem sanften Kessel gelegene Platz wäre ein idealer Ort für eine Open-Air-Party mit Elektromusik oder Trommelsessions. Mehrere hundert Menschen würden hier Platz finden. Und warum sollten Menschen hier nicht hörbar glücklich sein, wo doch auch Flugzeuge hier hörbar Kerosin verbrennen dürfen?

Ich verweile noch Stunden auf dem gesamten Areal, schlendere langsam wieder zurück auf den Berg und erkenne, was für ein toller Abenteuerspielplatz für Mensch und Tier das alles ist – eine Miniausgabe von Mittelerde und definitiv mein nächster Schatz …

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